„Der Wortlaut ist die Grenze der Auslegung“, bekommt man im Jurastudium schon recht früh beigbracht. Das wäre viel hilfreicher, wenn Sprache nicht so schrecklich ungenau wäre und der Gesetzgeber nicht mit ungeschickter Wortwahl manchmal noch eins drauf setzte. Mein Kandidat des Tages für nicht so gelungene Gesetzesformulierungen ist heute die Hehlerei, § 259 StGB. Darin heißt es:
Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Besonders umstritten ist die Tathandlung „absetzen“. Früher stand da noch „zum Absatz mitwirken“, was klar machte, dass auch derjenige als Hehler bestraft werden soll, der den Weiterverkauf nur vorbereitet. Der BGH meint nun aber, diese Bedeutung gelte auch weiterhin, auf einen erfolgreichen Weiterverkauf käme es gar nicht an. Warum dann aber der Wortlaut in „absetzt oder absetzen hilft“ geändert wurde, erschließt sich zumindest mir auch anhand der entsprechenden Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 7/550, S. 252) nicht. Vermutlich wollte der Gesetzgeber die bisherige Deutung durchaus beibehalten und nur klarstellen, dass auch jemand, der selbstständig Diebesgut in Absprache mit dem Dieb vertickt, Hehler sein soll. Wenn ja, dann ist das nicht besonders gut gelungen – „Absetzen“ ist ein recht schillerndes Verb. Man kann Medikamente absetzen, oder Spenden von der Steuer, oder jemanden an der Straßenecke, außerdem kann sich Staub auf Möbeln absetzen oder ein Bewerber von anderen, Serien und Diktatoren werden abgesetzt und junge Tiere von ihren Müttern. Zwischen dem BGH und dem Rest der Welt der Kommentarliteratur ist daher ein erbitterter Streit darüber entbrannt, ob für „Absetzen“ ein erfolgreiches „Verschieben der Verfügungsgewalt über die gestohlene Sache auf eine andere Person“ notwendig ist (der klassisch-klischeehafte Hehler verkauft die geklauten Antiquitäten an den skupellosen reichen Sammler), damit der Tatbestand erfüllt ist. Sieht man das so, wie es die Literatur tut, dann ist nur derjenige als Hehler zu bestrafen, der wirklich weiterverkauft, alle anderen höchstens wegen versuchter Hehlerei. Der BGH wiederum meint, auf einen Erfolg kommt es nicht an, und bestraft so ziemlich alles, was bei Drei immer noch mit gestohlener Ware hantiert – er möchte dem klassisch-klischeehaften Hehler das volle Strafmaß schon dann aufbrummen, wenn der gerade erst angefangen hat, vorsichtige Offerten an ihm bekannte reiche Sammler zu streuen. Sieht man das so wie der BGH, läuft allerdings die Strafbarkeit des Versuches der Hehlerei, die in § 259 Abs. 3 festgelegt ist, völlig leer – wenn selbst Vorbereitungen zum Verkauf bereits die volle Strafbarkeit begründen, bleibt kein Platz mehr für einen Versuch, und damit auch nicht für einen eventuellen strafbefreienden Rücktritt (falls unser Hehler vielleicht doch Skrupel hat, die aus dem Neuen Museum in Berlin geklaute Büste der Nofrete an einen russischen Oligarchen zu verscherbeln, und sie heimlich nachts auf der Schwelle des Museums wieder absetzt, würde er trotzdem voll bestraft).
Neben taktischen Erwägungen (die an den meisten Kriminellen ohnehin völlig vorbeigehen, fürchte ich) spricht aber noch der Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG gegen die weite Auslegung von „Absetzen“: die Tat muss „bestimmt“ sein, und aus obiger Spontansammlung ergibt sich meines Erachtens, dass „absetzen“ immer etwas mit Trennen, Verselbstständigen, Loswerden zu tun hat. Um eine Sache loszuwerden oder sich von ihr zu trennen, braucht man aber jemanden, der sie stattdessen nimmt, wenn man sie nicht gerade einfach auf die Straße werfen will. Das passt auch besser zum eigentlichen Grund, aus dem Hehlerei strafbar ist: die durch den Diebstahl geschaffene rechtswidrige Besitzeslage soll nicht auch noch dadurch verlängert bzw. verfestigt werden, dass jemand anderes sich der Sache annimmt und sie an wieder jemand anderen weiterreicht (und dafür auch noch Geld einstreicht). Das „Verkaufen“, „Veräußern“, „entgeltliche Überlassen“ oder von mir aus „Verhökern“, das man gern unter Strafe gestellt haben möchte, ins Gesetz zu schreiben, wäre wohl zu einfach.