Praxiserfahrung

Autochthone Flatterulmen im Tagebaurestloch

Vor über 20 Jahren fiel in ziemlicher Eile der Beschluss, die riesigen Tagebaukrater, in die der Braunkohleabbau der DDR ganze Landstriche verwandelt hatte, in irgendeiner Form zu renaturieren. Inzwischen sind in der Lausitz und in Leipzig schon die meisten Seen (fast) fertig, aber das Grundwasser und einige Flüsse sind immer noch weit davon entfernt, in gutem Zustand zu sein.

20 Jahre später, irgendwo in einer Behörde: eine Praktikantin bekommt die Aufgabe, sich mal grundsätzlich zu den unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bergbau- und Wasserbehörden bei der Folgenbewältigung des Braunkohle-Tagebaus kundig zu machen, als da wären: Wiederanstieg des Grundwassers, Versauerung, Renaturierung lieblos umgeleiteter Flüsse u.v.m. Ihr ahnt eventuell schon, wer diese Praktikantin ist. Ich bin ganz fasziniert davon, dass dieses Problem fast so lange besteht, wie ich auf der Welt bin, allerdings ist das eine derartig komplexe Materie, dass man ein Eydeet mit mindestens vier Gehirnen sein müsste, um da den Überblick zu behalten. Erstens gibt es die Regionalplanung, in der übergeordnete Ziele und Grundsätze formuliert werden („Wir hätten gern blühende Landschaften“). Zweitens gibt es die Braunkohlenpläne, die für die einzelnen Tagebaugebiete die Flächen bestimmten Nutzungen zuordnen („Loch fluten, Badestrand anlegen, Gewerbegebiet ausweisen“). Drittens tummeln sich darunter in lustiger Schnittmengenbildung die einzelnen fachgesetzlichen Verfahren zur Genehmigung der erforderlichen Maßnahmen – das Bergrecht hat seine Betriebspläne, im Wasserrecht wird planfestgestellt, Naturschutz und Altlastenbeseitigung wollen auch nicht zu kurz kommen, und zu allem Unglück sind sie auch noch komplett unterschiedlich ausgerichtet. Das Bergrecht zielt auf eine ordentliche Führung und später Abwicklung des Betriebes, das Wasserrecht hingegen dient dem Schutz der Ressource Wasser (surprise), und ist hauptsächlich auf Gewässerbewirtschaftung und Reservenerhaltung zugeschnitten. Zudem ist im Bergrecht das Sächsische Oberbergamt für alles zuständig, während je nach Gewässerart die Gemeinden bzw. die Landestalsperrenverwaltung und deren (Aufsichts-)Behörden sich kümmern. An dieser Stelle verkneife ich mir alle Verweise auf einen gewissen Passierschein, aber mir war vorher nicht klar, wie schwierig es sein kann, für, sagen wir, die Wiederherstellung eines naturnahen Flussbettes nach bergbaubedingter Verlegung auch nur den Zuständigen auszumachen, von der Durchführung und Finanzierung ganz zu schweigen.

Liest bis hierhin noch irgendjemand mit? Wenn ja, entwickelt er oder sie vielleicht sogar ein bisschen Verständnis für meine ambivalente Haltung: ich finde das alles irre spannend. Die letzten Tage habe ich motivierter als bei so mancher Seminararbeit über Braunkohleplänen, Tagungsbänden zu Berg- und Wasserrechtssymposien und Verwaltungsabkommen gebrütet, und auch sonst kann ich mich für die schiere Komplexität und Detailverliebtheit von Verwaltungsverfahren begeistern (es gibt eine DIN-Norm zu korrekten Abständen beim Bäumepflanzen!). Außerdem kann gerade die Öffentlichkeitsbeteiligung eine lustige Sache sein, wenn ein Naturschutzverband fordert, auf einer bestimmten Renaturierungsfläche „autochthone Flatterulmen“ anzusiedeln, und man so seine Kenntnisse über die heimische Flora erweitert. Auf der anderen Seite ist die schiere Regelungslast erdrückend – es gibt zu so ziemlich jedem Gesetzesparagraphen gefühlt mindestens eine Verwaltungsvorschrift, und die Rechtssicherheit, die durch die Regelungsdichte entsteht (oder jedenfalls entstehen soll), wird paradoxerweise mit einem Verlust an Übersichtlichkeit bezahlt, jedenfalls für fachfremde Praktikanten. Und Sachsen rühmt sich schon, eines der Bundesländer mit den wenigsten Normen und Verwaltungsvorschriften zu sein. Außerdem bin ich ja ohnehin kein Fan von übermäßiger Regulierung, deswegen beschleicht mich direkt ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich darüber freue, 175 Seiten Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau von ein paar hundert Metern Elbdeich zu lesen. Allerdings ist es das wert, denn das ganze Praktikum hat einen wunderbaren Nebeneffekt: der Stoff fürs Examen kommt mir, verglichen mit den Planungsverfahren, auf einmal so wunderbar unterkomplex vor.

Außer Spesen…

Meistens bin ich mit meinen Bildern ziemlich unzufrieden, was unter anderem daran liegt, dass ich nie so richtig gelernt habe, halbwegs diszipliniert zu malen, sondern einfach drauflos dilettiere. Meine „Methode“, falls man das überhaupt so nennen kann, besteht inzwischen daraus, möglichst viele Vorzeichnungen zu machen, mir gegebenenfalls Vorlagen zu suchen und ansonsten solange rumzuprobieren, bis das, was da auf dem Papier ist, halbwegs dem entspricht, was ich im Kopf habe, und wenn es mir dann noch einigermaßen vertretbar erscheint, zeige ich es hier rum. (Hab ich irgendwo schonmal erwähnt, dass ich mich über so ziemlich jeden Kommentar zu meinen Bildern freue? Bestimmt.) Insgeheim bin ich aber der Meinung, dass da noch einiges an Luft nach oben ist, und dass der Abstand zwischen dem, was ich so mache, und dem, was ich eventuell machen könnte, sich unter anderem mit etwas professioneller Anleitung ein ganzes Stück verringern ließe.

Wahrscheinlich war es trotzdem einfach nur vermessen von mir, mich für einen Abendkurs (der Beschreibung nach sich an interessierte Amateure richtend) an der hiesigen Hochschule für Graphik und Buchkunst zu bewerben, was der Kursleiter auch so zu sehen schien – vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber das Durchblättern meiner Mappe hat er so schnell abgehakt, als würde es ihm körperliches Unwohlsein zu bereiten – , jedenfalls hat es dann, ohne weitere Angaben zu Gründen, nicht geklappt. Sollte zufällig jemand hier vorbeikommen, der weiß, nach welchen Kriterien die HGB aussucht, bin ich für jeden Hinweis dankbar. Nicht, um mich dann danach richten zu können, ich nehme sogar an, dass es beiderseitig besser sein könnte, wenn die schrecklich ernsthaften Leute dort und ich nicht vertiefter miteinander zu tun haben (dem Fuchs sind die Trauben, an die er nicht rankommt, natürlich zu sauer), aber mich zwiebelt es, bei solchen Gelegenheiten dann absolut nicht zu wissen, woran es liegt. Vielleicht waren es ja die Zombies. Wie auch immer, zum Zwecke der Vor-Ort-Beurteilung künstlerischer Fähigkeiten wurde ein Sperrmüllhaufen Stillleben aufgebaut, an dem wir uns dann austoben sollten, und ich habe natürlich, die dezenten Faltenwürfe ausgemusterter Sofadecken, kaputte Gitarren, den Einkaufswagen (!) und den Rest des romantischen Schrottes ignorierend, gleich etwas gesehen, was „guckt“.

Man beachte den leicht manischen Blick des Stuhls. So schaue ich jetzt auch immer drein, wenn mich jemand auf die HGB anspricht.

§§ 223 I, 224 I Nr. 5 StGB

Sitzungsdienst ist bei Richtern und Staatsanwälten mehrheitlich unbeliebt, und wer sich mal in eine öffentliche Gerichtsverhandlung traut, dem wird schnell klar, warum: es ist schlimmer als bei „We are family“, „Barbara Salesch“ und „DSDS“ zusammengenommen. Vorhand auf für eine beliebige Verhandlung zu Körperverletzung bzw. Gefährlicher Körperverletzung mit folgenden, garantiert lebensechten Protagonisten:

1. der Angeklagte: kann sich nur noch eingeschränkt erinnern, was überhaupt los war, aber ja, seine Alde hat er gehauen, weil sie immer rumdeberte, sein Geld versoff und hinter seinem Rücken schlecht über ihn redete. Was, wisse er nicht mehr. Er selber trinke höchstens mal ein paar Bierchen, bloß morgens, mittags, nachmittags und abends, aber die, die sei immer besoffen gewesen, und er habe ihr immer Geld fürs Einkaufen gegeben, und die kam dann bloß an mit Schnaps. Er trinke sowas nicht, nur halt ab und zu seine Bierchen, aber wenn die Alde nicht spurt, dann haut er sie schonmal gegen die Heizung. War keine Absicht, die ist halt irgendwie so hintenüber gekippt, die 2 Meter vom Sofa zum Heizkörper.

2. die Geschädigte: geradezu erbarmungswürdig einfach gestrickt, kann sich an noch weniger erinnern, ja, sie hatte mal ein blaues Auge, und da war auch was mit der Heizung, aber ob das blaue Auge vor der Sache mit der Heizung war, oder danach, oder währenddessen, keine Ahnung. Er kam dann noch zu ihr ins Krankenhaus [wohlgemerkt, die Frau hatte eine Schädelfraktur, d.Red.] und drohte, sie alle zu machen, wenn sie ihn verpetzt, sie solle sagen, da waren fünf Typen, die in ihre Wohnung eingebrochen sind. War sie wegen der Sache mit der Heizung im Krankenhaus? Nee, der Angeklagte hat sie mal so heftig gegen den Kopf getreten, dass irgendwas kaputt gewesen sei, und als die Kopfschmerzen nicht besser wurden, ist sie halt zum Arzt. Aber nach einem Tag ist sie aus dem Krankenhaus wieder raus, weil sie sich um ihr Viehzeug kümmern muss. Wann war das? Keine Ahnung. Trinke sie viel? Nee… – doch.

3. der medizinische Gutachter. Mit liebenswertem (süd)slawischem Akzent schildert er eine ganze Reihe überhaupt nicht liebenswerter Verletzungen der Geschädtigten, und sogar

4. die Richterin muss schwer schlucken, ist allerdings sichtlich erleichert, nach 1. und 2. wieder mit jemandem zu tun zu haben, der ganze Sätze bilden kann und auf Fragen mit Antworten anstatt Achselzucken reagiert. Ähnlich geht es

5. dem Staatsanwalt, der besonders ob der geringen Aussagefähigkeit der Geschädigten frustriert ist.

Am Ende gibt es Freiheitsstrafe für den Angeklagten, etwas knapp über ein Jahr, was diesen mäßig stört – sein Vorstrafenregister ist so lang wie anderer Leute Lebenslauf, und Knasterfahrung hat er bereits reichlich. Wegen Körperverletzung.