Monat: Juni 2013

Auf Wunsch einer einzelnen Dame (2)

„Guten Tag, die Höllische Verkehrs-AG, was kann ich für sie tun?“ Ich nuschle die Begrüßung ein bisschen, man sollte neben dem Telefonieren auch einfach nicht essen, aber was soll ich machen, wenn nette Kollegen ständig Kuchen anbringen? – Am anderen Ende eine sonore Männerstimme: „Oh, das ist ja schön, dass ich dich gleich erreiche.“ Der Kuchen bleibt mir spontan im Halse stecken. „Entschuldigen Sie bitte!?“ – „Wirklich schön, dass ich dich gleich erreiche. Wir waren beim letzten Mal so schön zusammen in der Bildergalerie.“ Der Tonfall wechselt von sonor zu leicht anbiedernd. „Ich denke mal, sie irren sich, ich bin mir ziemlich sicher, in letzter Zeit nicht dort gewesen zu sein…?“ – „Aber ich bin doch hier beim Begleitservice!“ Verdutzt. Was jetzt kommt, kann ich eigentlich nur damit entschuldigen, dass Samstagmorgen ist, ich zwar Kuchen hatte, aber keinen Kaffee, und vorher auf einer anderen Hotline eine Stunde lang der Teufel los war: ich raffe es einfach nicht. Und zu allem Überfluss hat die Höllische Verkehrs-AG einen Begleitservice – für Rollstuhlfahrer. „Jedenfalls waren Sie dort nicht mit mir, vielleicht kann ich sie verbinden, mit wem wollten Sie denn sprechen?“ – „Oooh, ja, ich würde auch sehr gern deine Freundinnen kennenlernen. Aber vielleicht können doch gleich wir beide…?“ –  „Neinnein, ich selbst mache das nicht. Das ist eine andere Abteilung.“ – „Aber ich hab doch die Nummer vom Begleitservice gewählt!“ – „Ich fürchte ja, Sie haben sich verwählt. Sie sind jetzt bei den Höllischen Verkehrsbetrieben.“ – „Jaja, da wollte ich ja auch hin.“ Eifrig. „Jetzt bin ich doch hier beim Begleitservice.“ – Meine rechte Gehirnhälfte wacht endlich auf. „Aber bei dem Falschen!“ Und dann kann ich nichts mehr sagen, weil ich mir in die Faust beißen muss, um nicht laut loszuprusten. Er meinte natürlich die andere Art von Verkehrsbetrieben.

Auf Wunsch einer einzelnen Dame (1)

Neulich wurde von Seiten einer Freundin beklagt, dass die Callcenterzeit – und damit ein schier unerschöpflicher Anekdotenschatz – jetzt vorbei sei. Zwar kommen keine neuen mehr nach, aber ich habe noch ein paar in petto, die im Entwurfsordner überdauert haben. Bittesehr!

Gestern hatte ich eine Horror-Schicht, der ich eine Zombieapokalypse möglicherweise vorziehen würde, weil man dann ungestraft mit Kettensägen hantieren… aber nein, ich versuche, einigermaßen gewaltfrei zu bleiben, und davon abgesehen könnte ich mit der Kettensäge ja höchstens (wenn auch sehr aufsehenerregend) die Telefonleitung kappen.

Verbindungsauskünfte gebe ich grundsätzlich gerne. Die Maske ist recht einfach zu bedienen, die Leute wissen üblicherweise, wo sie wohnen und wo sie hinwollen, und da die meisten insgeheim ein schlechtes Gewissen haben (jedenfalls vermute ich das), weil sie auch für unterkomplexe Strecken anrufen, anstatt einfach auf den Fahrplan zu gucken, sind sie in der Regel recht geduldig. Auf die ältere Dame, die mal so ganz allgemein wissen wollte, wie denn jetzt die Busse im Südraum Leipzig fahren, traf das alles nicht zu. Also, sie wusste schon, wo sie wohnte, aber sie konnte sich nicht entscheiden, wo sie hinwollte, wusste die Buslinien nicht, hatte die Fahrpläne von vor der Wende im Kopf und wurde stinkig, weil ich in dem Gewirr von vagen Ortsangaben („In der Siedlung“), vagen Zielangaben („Zum See. Aber nicht ans Nordufer, das andere!“) irgendwann völlig die Orientierung verlor, und dass, obwohl ich die Gegend aus eigener Anschauung kenne. Meine zunehmende Verwirrung und der immer vergeblichere Versuch, mir meine Gereiztheit nicht anmerken zu lassen, machten das Gespräch nicht gerade konstruktiver: „Wie fährt denn jetzt der Bus vom Connewitzer Kreuz?“ – „Moment, da gibt´s mehrere Linien, A, B und C, welche möchten Sie denn nehmen?“ – „Den BUS halt!“ – Ich gestehe, ich hab ihr auf gut Glück eine Linienführung angesagt, die bei besagtem Connewitzer Kreuz losging, denn „in den Süden“ fahren da so ziemlich alle Busse. „Aber der nach Zwenkau, der hält doch auch am Cospudener See!?“ – „Nein, tut der nicht, der lässt den See links liegen und hält erst wieder direkt in Zwenkau.“ – „Aber der hielt doch früher am Ostufer!“ – etc.pp. Und das für Jede. Verfluchte. Buslinie. Deren Nummern sie nicht wusste, auch keinen Start- oder wenigstens Endpunkt, dafür unfassbar viele Orte immer dann einwarf, wenn ich gerade dachte, mir zusammengereimt zu haben, was sie meinte.  Und bei mindestens der Hälfte dieser Orte könnte ich schwören, dass dort vielleicht vor meiner Geburt eine Haltestelle war, aber heute definitiv nicht mehr. Kettensägen, ich sach euch. Zur Krönung des ganzen beendete sie das Gespräch mit „Na, ich merke schon, Sie haben keine Ahnung, und jetzt hören Sie mit der Eierei auf.“ Klick. Es war insgesamt eine Viertelstunde vergangen, ich war nassgeschwitzt und den Tränen nahe, und frug mich, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, folgendes: Ist das jetzt gut oder schlecht, dass ich dieser Frau gegenüber nicht ausfällig oder wenigstens deutlich geworden bin? Den normal-ätzenden Kunden habe ich inzwischen halbwegs im Griff, aber dieser geballten Wucht aus nebulösen Fragen und sinnlosen Details war ich einfach nicht gewachsen. Jetzt sitzt irgendwo eine ältere Dame (die von Glück sagen kann, dass wir keine Videotelefonie machen, sonst würde ich, sollte ich ihr zufällig auf der Straße begegnen und keine Kettensäge bei mir führen, mich versucht fühlen, sie vor einen Bus zu schubsen, der zum See…), jedenfalls, jetzt sitzt da eine ältere Dame, die beim Kaffeekränzchen ihren Freundinnen erzählt, wie furchtbar unfähig die bei den örtlichen Busbetrieben sind, nicht mal die einfachsten Sachen habe dieses Telefonfräulein gewusst. Und dann nicken diese alten Damen, vielleicht sind auch ein paar ältere Herren dabei, und bestätigen sich, dass es früher sowas nicht gegeben hätte, überhaupt dieser ganze neumodische Kram, zu ihrer Zeit hat man seine Arbeit noch ordentlich und gründlich gemacht. Hätte ich ihr aber gesagt, was ich in dem Moment tatsächlich dachte („Pick mich doch am Bürzel, du alte Schabracke!“) hätten die Verkehrsbetriebe einen Abo-Kunden weniger. Nicht mein Problem, wer seine Kundenkontakte auslagert, ist selbst schuld.

Vielleicht wäre sie aber auch zu genau demselben Schluss gekommen, nämlich dass früher alles besser war. Und dann würde es überhaupt keinen Unterschied machen, ob ich mich endlich mal traue, wirklich deutlich zu werden oder nicht, außer für mich. Und wenn die Zombieapokalypse kommt, dann kann ich meine Kettensäge bestimmt produktiver einsetzen.

52 Bücher (x/52)

52 Bücher, Woche 3: Das nächste MUST-HAVE-Buch. – Immer das, was mich gerade interessiert. Und dann kaufe ich spontan irgendwas ganz anderes. Zuletzt: Rüdiger Safranskis „Ein Meister aus Deutschland – Martin Heidegger und seine Zeit“.  Ich hatte von Safranski schon „Schopenhauer oder Die wilden Jahre der Philosophie durchblättert und fand es ganz interessant, aber der Heidegger ist laaaaaaaangweilig – zu viel wabende Philosophie, von der ich nichts verstehe (Phänomenologie, anyone? Ich lerne gern dazu, aber das war mir zu…. hoch. Oder zu tief. Je nach dem.), und sobald es anfängt, biographisch interessant zu werden, gibt es mehr wabernde Philosophie. Ich rate ab.

52 Bücher, Woche 4: Zeige uns ein schwarz-weiß-blaues Buch.

Der Brigitte-Kommentar dazu ist kompletter Quatsch. Zu den Ausführungen zur Malerei, die da getätigt werden, schreibe ich vielleicht extra mal was, denn für mich war die Beschreibung der Farben, der Grundierung, des Anmischens – kurz, der ganze handwerkliche Kram, sehr spannend, bei den theoretischen Ausführungen rollten sich mir ein bisschen die Fußnägel (man müsse nur die „Wahre Stelle“ eines Bildes finden, der Rest geht von allein. *schnrchl*) Ach so, die Story: der exilierte holländische Maler Jan Massys kommt 1550 nach Genua und soll dort den alt gewordenen, aber immer noch Respekt einflößenden Piraten Andrea Doria porträtieren. Er trifft allerhand seltsame Gestalten, begleitet Doria auf seinen Seeschlachten und verliebt sich außerdem in eine Schauspielerin (allerdings nehmen, jedenfalls meinem Gefühl nach, allein die Ausführungen über den Schiffbau mehr Raum ein als die Liebesgeschichte, die zudem gar keine richtige ist. Fand ich persönlich sehr angenehm.) Leiser Nachteil: die Figuren sind alle reichlich konstruiert, in fast jedem Handwerker steckt ein Philosoph, in fast jedem Penner ein eloquenter Wahnsinniger. Da ich grundsätzlich die Frühe Neuzeit aber mag, war das Buch in puncto historischer Roman mal eine angenehme Abwechslung.

52 Bücher, Woche 16: Welchem Autor wolltest Du schon mal was nettes sagen? ;-) Oder was würdest Du gerne mal fragen… Stephen King wurde schon so oft gefragt, ob er sich nicht mal kürzer fassen kann (völlig ergebnislos, übrigens), dass ich das nicht mehr machen muss. Wen ich außerdem gerne was fragen würde, ist Matt Ruff, nämlich Folgendes: Was ist mir an seinem neuen Buch entgangen? Ruff ist einer meiner Lieblingsautoren, aber „The Mirage“ ist einfach nur seltsam. Es fängt interessant an – in einer Welt, wie sie vielleicht aussehen könnte, wenn die arabischen Staaten Weltmacht wären („United Arab States“) und einen  gemäßigten Islam pflegten. Die USA wären ein rückständiges Drittweltland voller christlich-fundamentalistischer Fanatiker, von denen einige ein Attentat auf das World Trade Center in Bagdad verüben – am 9.11. Und so ist das ganze Buch – 9/11 spiegelverkehrt. Die Details sind famos, das Personal mit Humor erfasst, und bis zur Mitte ist es ein Was-wäre-wenn-Spionage-Alternative-History-Thriller, bis die Theorie ins Spiel kommt, man befände sich in einer Parallelwelt – der Mirage – in die gelegentlich Artefakte der echten, also unserer gelangen, unter anderem Zeitungsausschnitte vom 9.11.2001. Die Auflösung hat irgendetwas mit einem Dschinn zu tun, und ich blieb nach der Lektüre mit dem Gefühl zurück, dass entweder ich etwas gründlich übersehen hatte oder Mister Ruff hat in das Buch viel zu viel hineingepackt, sodass am Ende keine Luft mehr blieb für eine ordentliche Auflösung. Mal abgesehen davon, dass es derer meiner Meinung nach gar nicht bedurft hätte, er hätte das Ganze einfach so lassen können.

52 Bücher, Woche 18: Weltuntergang oder mach doch, was du willst. – Leo Perutz, „Der Meister des jüngsten Tages“. Anfangs sehr klassisch, später sehr mehrdeutig: während einer Konzertgesellschaft (Anfang des 20. Jahrhunderts) erschießt sich der Schauspieler Eugen Bischoff, der schon länger mit kreativen Blockaden zu kämpfen hatte. Die Ermittlungen beginnen erst etwas „Whodunnit“-mäßig, doch als Ingenieur Solgrub eine Verbindung zu mehreren mysteriösen Selbstmorden herstellt, gerät eine Droge ins Blickfeld, die angeblich die Kreativität beleben soll, tatsächlich jedoch schnurstracks in den Wahnsinn führt. Wer sie raucht, sieht die Farbe Drommetenrot, in der der Himmel während der Apokalypse leuchten soll. Ich-Erzähler Freiherr von Yosch probiert sie ebenfalls und kann gerade noch mittels Faustschlag davon abgehalten werden, sich zu erschießen. In einem Nachwort jedoch gibt es Hinweise, dass Yosch Bischoff selbst erschossen hat, da er Bischoffs Frau liebte, und sich eine besonders kreative Verdrängung ausdachte.

52 Bücher, Woche 21: Ein bestimmtes Genre. – Mit Robert Harris´ „Imperium“ und „Lustrum“ entdecke ich gerade den historischen Roman wieder. [Nachtrag: da geht´s um Ciceros Aufstieg zum Konsul. Bei meinem Blog-Titel quasi Pflichtlektüre.] Und davor kam „Die blaue Galeere“, das passt da auch ganz gut rein. Bis dahin hatte ich mir (abgesehen von Ken Folletts „Fall of Giants“ und „Winter of the World“) lange nichts Historisches mehr gegeben, zum einen aus Geiz und zum anderen, weil in dem Genre (oder jedenfalls in der Auslage der Buchläden) sich so viel auf Wanderhuren-Niveau abspielte, dass man glatt zum Untergang des Abendlandes aufrufen möchte.

Muscheln

anderemuschel

Aus mir selbst nicht ganz einsichtigen Gründen war ich der Meinung, Muscheln zu zeichnen sei eine tolle Idee. In der Tat hat es einen gewissen Beruhigungseffekt, und ich begeistere mich immer mehr für die vormals verhassten Aquarellfarben, aber auf die Dauer wird man auch ganz schön rammdösig davon, auf Aberzillionen Schattierungen und Formierungen von Kalk zu starren.

jakobsmuschel