Eine beliebige halbe Stunde im Livestream des DLF, unsachlich und subjektiv wiedergegeben:
Gysi, super zum Einstieg, teilt gleichmäßig nach allen Seiten aus – der Atomausstieg sei inkonsequent, komme von den falschen Leuten, Rot/Grün stimme einem Ausstieg zu, der sich nach Amortisation bemisst, es fehle die soziale Abfederung, bis Ende 2014 könne man auch schon aussteigen. Selbst per Radiostream trieft so viel Oberlehrerhaftigkeit („jetzt sag ich Ihnen mal…“) aus den Lautsprechern, „Man kann nicht länger die Bevölkerung dem Fukushima-Risiko aussetzen“ – hab ich was verpasst? Kann ich jetzt endlich Urlaub am Pazifik machen, ohne erst hinfliegen zu müssen? Und am besten sollen wir auch noch das Grundgesetz ändern, klar, Verfassungen sind dafür da, wirklich alles Tagespolitische reinzuschreiben, auch einen Artikel 1a, in dem steht: „Die Konzerne sollen auf keinen Fall irgendwie Macht haben“, und öffentliche Daseinsvorsorge, auch Energie, soll endlich in staatlicher Hand sein. Wir überlassen alles dem Staat, damit auf keinen Fall sowas menschenverachtendes wie freier Wettbewerb zustande kommt. Der wird ja ohnehin möglichst wirksam abgewürgt (meine Meinung, nicht die von Gysi), und die armen Hartz-IV-Empfänger! (Der soll sich mal unsere Nachbarn angucken, und dann frag ich ihn nochmal, ob er wirklich so ein Umverteilungsfan ist und denen gern seine Diäten abtreten würde, damit sie sich nen dritten Hund anschaffen in der kleinen Sozialwohnung, oder mehr Stroh 80 trinken können, um sich nicht nur spätabends anzumöffen, sondern den ganzen Tag betrunken aufeinander hängen, und nein, ich hab nicht zuviel RTL geguckt, ihr seid alle herzlich eingeladen, vorbeizukommen und euch selbst zu überzeugen).
Renate Künast ist dran: dankt pathetisch allen, die gegen Atomkraft gekämpft haben, und sich unter mitleiderregenden Umständen um unsere Zukunft verdient gemacht haben. Okay, sie hat nicht Unrecht, und es ist sehr clever, mit solchen Geschichten anzufangen, Geschichten von scheinbar aussichtslosen Kämpfen, die jetzt unerwartet ein gutes Ende nehmen. Nur Latein kann sie keines: „Pacta sunt servandi“ hab ich so noch nie gehört, aber das ist jetzt kleinlich, und obwohl sie nicht direkt meine Lieblingspolitikerin ist, auch, weil sie schon wieder auf den bösen oligopolistischen Stromkonzernen rumhackt, muss ich ihr insofern recht geben, als dass die Anti-Atom-Bewegung nun mal (derzeit) gewonnen hat und es ja auch nicht verkehrt ist, eine Energieversorung aufzubauen, die dem Wunsch der Mehrheit entspricht. Sie fordert alle auf, nicht ideologisch zu sein, der gesellschaftliche Umbau fange erst an. Wir werden anders transportieren, produzieren, konsumieren, kopulieren – pardon, ich werde schon wieder unsachlich. Am neuen deutschen Wesen wird dann auch die dritte Welt genesen, Schwellenländer und Entwicklungsländer werden profitieren – wovon, sagt sie nicht, oder mir ist es entschlüpft, aber auf jeden Fall wird es denen besser gehen, wenn wir umsatteln, das ist ja so Kaiserzeit, Frau Künast. Und dass es jetzt der Aufbruch in die perfekte Welt ist, komme, was da wolle, das ist dann doch wieder ideologisch.
Kuhse/Kruse, jedenfalls Rüdiger, hat die unschöne Aufgabe, für die Union zu sprechen, und schweift erstmal zur Ostpolitik, zur Wiedervereinigung, nachdem er sich ein bisschen bei Rot, Grün und sogar Tiefrot eingekratzt hat. Wiedervereinigung deshalb, weil dies, ähnlich wie jetzt die Kernkraft für die Grünen, für die CDU ein Kernthema war, dessen erfolgreiche Erledigung dann Identitätskrisen nach sich zog – antizipierte Gönnerhaftigkeit den Grünen gegenüber, ich würde ja erstmal abwarten. Überhaupt ist er weniger souverän als seine Vorgänger, erntet mehr Zwischenrufer, lässt sich von denen aus dem Konzept bringen, und fängt doch tatsächlich wieder damit an, dass man „Neubewertungen“ vornehmen könne und müsse, und dass „kollektive Irrtümer“ korrigiert werden müssen, na, Herr Gysi, mit kollektiven Irrtümern haben Sie doch 40 Jahre lang Erfahrung gesammelt – kann ich bitte wieder Frau Künast hören? Rüdiger, dessen Nachnamen ich nicht richtig verstanden habe, erntet nur einmal Beifall, als er den „Turboaussteigern“ Arbeitsplatzvernichtung vorwirft. Auf einmal ist das Atomthema ein „Impuls für Europa“, eine sinnstiftende Idee, – und hier kommt ein Zwischenfrage, etwas sehr langatmiges, was mit Richtungsveränderungen in verschiedenen Parteien bei verschiedenen Gelegenheiten zu tun hat, und mit demokratischem, öffentlichem Verfahren – hä? Klingt, als würde sie ein Planfeststellungsverfahren für die Änderung von Parteiprogrammen fordern, jedenfalls solle das demokratisch und öffentlich passieren, und Rüdiger, der wohl Kruse und nicht Kuhse heißt, hangelt sich über den Strompreis und Bevölkerungswachstum weg von der Antwort, wobei er eigentlich nur kurz und knapp darauf zu verweisen bräuchte, dass Parteigedöns allermeistens öffentlich ist. Zum Glück hat er seine Redezeit gleich ausgeschöpft, sodass das mühsame Entlangziehen an „unserer Wirtschaftskompetenz“ – hämisches Gelächter aus dem Hintergrund – mit der „wir das schaffen werden“, zu Ende ist.
Es schwäbelt, Auftritt Nils Schmid, der doch tatsächlich das Evangelium bemüht und sich über die Umkehr der reuigen Sünder freut, auch wenn diese Umkehr 25 Jahre zu spät kommt, und Steuersenkungen auf Pump seien ein „Riesenfehler“ (Lernen Parlamentarier eigentlich irgendwo, sprunghaft das Thema zu wechseln, wenn´s nur emotional irgendwie ähnlich gelagert ist?), und freut sich, dass er die neue baden-württembergische Landesregierung vertreten darf, wohin ihn und die SPD Prinzipientreue, Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit gebracht hat. Ohne die „Autobau und Mittelstand“-Karte geht´s auch nicht, ich fange tatsächlich an, mir Gysi zurückzuwünschen. Das ist definitiv der Punkt, an dem ich abschalten sollte. Danke für Ihre Aufmerksamkeit und zurück ins Studio.