Sportunterricht in der Schule habe ich allergrößtenteils gehasst, hauptsächlich weil ich für die meisten Sachen zu langsam/ungeschickt/wenig teamfähig war. Was ich allerdings immer ganz lustig fand, war Völkerball. Kennt ihr sicherlich: zwei Mannschaften stehen sich gegenüber und versuchen, mittels eines Balls die jeweils anderen abzuschießen. Die Getroffenen wechseln in ein Außenfeld um das ihrer Gegner und schießen weiterhin fleißig mit ab. Allerdings wird in den Schulen wohl nicht mehr lange Völkerball gespielt werden: das Bundesverwaltungsgericht findet nämlich, dass Spiele gegen die Menschenwürde verstoßen, wenn sie nach ihren Regeln darauf angelegt sind,
dass nicht nur auf fest installierte Ziele, sondern auch und gerade auf Menschen “geschossen” werde und damit Tötungshandlungen simuliert würden. […] Die Spieler würden so zu kriegsähnlichen, nahkampfgleichen Verhaltensmustern gezwungen.
Das „Abschießen“ mit dem Ball simuliert ja nun mal ganz eindeutig eine Tötungshandlung. Und man möchte ergänzen: das führt nicht nur zu nahkampfgleichen Verhaltensmustern, die Spieler üben auch noch, allein schon durch die Namensgebung, völkerrechtswidrige Handlungen ein. Das dürfte dann dazu führen, dass bei ihnen
eine Einstellung erzeugt oder verstärkt wird, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt. […] Demnach ist ein […] Unterhaltungsspiel, das auf die Identifikation der Spielteilnehmer mit der Gewaltausübung gegen Menschen angelegt ist und ihnen die lustvolle Teilnahme an derartigen – wenn auch nur fiktiven – Handlungen ermöglichen soll, wegen der ihm innewohnenden Tendenz zur Bejahung oder zumindest Bagatellisierung der Gewalt und wegen der möglichen Auswirkungen einer solchen Tendenz auf die allgemeinen Wertvorstellungen und das Verhalten in der Gesellschaft mit der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie unvereinbar.
Wer schonmal eine Horde Grundschüler beim Völkerball beoachtet und die fröhlich-unbekümmerten „Du bist tot!“-Rufe gehört hat, der wird dem Gericht sofort zustimmen, dass die Tendenzen, die die Kinder da erlernen, eindeutig Gewalt bagatellisieren. Die werden dann später mal zu Menschen, die wir nicht auf unsere Gesellschaft und unsere Wertevorstellungen loslassen wollen.
Nee. Moment mal. In der zitierten Entscheidung geht´s ja gar nicht um Völkerball, sondern um Laserdromes. Geben wir dem Gericht mal zu, dass da die Gewaltdarstellung in der Tat auf einem weit niedrigeren Abstraktionsniveau simuliert wird, die Teilnehmer martialischer ausgestattet sind und statt Softbällen Plastikwaffen tragen. Macht das alles aber schon den Unterschied zwischen einem harmlosen Sportvergnügen und einer Menschenwürdeverletzung? Gerade der Fokus auf das „spielerische Töten“, so das Gericht, ließe mangelnden Respekt
vor der Individualität, Identität und Integrität der menschlichen Persönlichkeit
erkennen, und führe zu einer Trivialisierung und Banalisierung dieser Rechtsgüter. Schauen wir uns das mal von der anderen Seite aus an: Erwachsene Menschen befinden sich in einer abgeschlossenen Spielhallte oder auf einem abgegrenzten Spielfeld, es muss sich also keiner etwas angucken, was er nicht sehen will. Sie gehen freiwillig dahin und zahlen sogar noch Eintritt dafür, dass sie sich eine Weile lang gegenseitig belauern und mit Laserpistolen beschießen dürfen. Das Ganze passiert auf Augenhöhe, die Teams stehen sich gleichwertig gegenüber, niemand wird „gejagt“ oder sonstwie zum Opfer, und innerhalb des Teams kann man prima Zusammenhalt, Solidarität und dergleichen mehr einüben. Am Ende kommen sie wieder raus, hatten einen lustigen Nachmittag und sind aller Wahrscheinlichkeit nach immer noch Freunde, oder sogar etwas bessere. Und jetzt alle:
Die Freiwilligkeit der Teilnahme sowie das gegenseitige Einvernehmen der Spieler ist rechtlich unerheblich, weil die aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herzuleitende Wertordnung der Verfassung nicht im Rahmen eines Unterhaltungsspiels zur Disposition steht.
Sobald einmal die Menschenwürde im Spiel ist, sind alle anderen Einwände hinfällig, auch die Berufsfreiheit des Anbieters oder die allgemeine Handlungsfreiheit der Spieler. Mit so einem Instrument sollte man sehr, sehr zurückhaltend umgehen – und zudem noch ein bisschen Demut walten lassen, weil auch nach Jahrzehnten angeregten Gedankenaustausches nicht so ganz klar ist, was denn nun damit gemeint ist. Laut Bundesverfassungsgericht der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die prinzipiell seine Subjektqualität infrage stellt, worin auch eine „Würde des Menschen als Gattungswesen“ einbezogen wird. Allerdings scheinen konservative Zeitgenossen (ich behaupte jetzt mal kühn, dass man dazu auch Verwaltungsrichter zählen kann) einen völlig anderen Blick darauf zu haben – ein Spiel, dass sie doof finden, ist gleich gattungswürdewidrig. Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten Sportspiele, wie das oben erwähnte Völkerball, aus ritualisierten Kriegs- oder Tötungshandlungen entstanden sind und sich Laserdrome, Paintball und Co relativ nahtlos in die Tradition einreihen, gewalttätige Konflikte innerhalb eines festgesetzten Rahmens und sozialer Zusammenhänge zu bändigen. Zwar sind die Vorbilder für Laserdromes existente moderne Tötungsarten, während Säbelmorde heutzutage eher selten vorkommen, dennoch ist die Verfremdung stark genug, um es eben als Spiel erscheinen zu lassen und nicht als eine Art Häuserkampftraining. Oder, wie es das OVG Lüneburg ausdrückt (Rn. 77), von dem sich das BVerwG überhaupt eine dicke Scheibe abschneiden sollte:
Der Lebenserwartung käme es wohl kaum zugute, wenn man sich mit den dort eingeübten Verhaltensweisen in einen Häuserkampf oder eine sonstige bewaffnete Auseinandersetzung begäbe.
Abgesehen davon ist bei jeder schlagenden Verbindung mit wesentlich ernsthafteren Verletzungen zu rechnen. Und schlussenendlich spielt sowas Kleinliches wie Zusammenhänge bei Begründungen eine entscheidende Rolle. Als ich das letzte Mal eine Vorlesung in Medienwirkungsforschung besucht habe, war eine Kausalität zwischen dem Spielen gewalttätiger Spiele und tatsächlichen Gewaltausbrüchen immer noch nicht empirisch belegt. Wer sich schon so paternalistisch gibt, dass er etwas verbieten will, was alle Beteiligten freiwillig machen und wobei niemand zu Schaden kommt, der sollte sich etwas Besseres einfallen lassen, als die eher diffusen „möglichen Auswirkungen auf die allgemeinen Wertevorstellungen“. Offenbar nehmen hier ein paar Leute ihre eigenen Wertevorstellungen als repräsentativ für den Rest der Gesellschaft an und nutzen die Menschenwürde schlicht als Gängelband. Und bei aller Unklarheit, aber dafür ist sie definitiv nicht da.