Gesetzgebung

Mehr Irrationalität wagen.

Hubertus Heil verabschiedet sich von der fortlaufenden Nummerierung der Sozialgesetzbücher, da eigentlich die 13 (XIII) dran wäre, er aber Rücksicht auf Aberglauben nehmen möchte. Daher soll nun auf 12 (XII) die 14 (XIV) folgen. Selten war ich neugieriger auf die „Argumente“ für eine Entscheidung, allein, sie bleiben im Dunkeln (in den veröffentlichen Stellungnahmen zum Entwurf des SGB XIII konnte ich nichts finden). Ich hoffe ja sehr, dass das Ganze sich als schlechter Witz oder ausgebufftes Social-Media-Experiment herausstellt; bis dahin hätte ich ein paar Vorschläge:

  • „§ 13“ wird in allen Gesetzen umbenannt zu „§ 12a“. Fällt bei vielen Regelwerken ohnehin nicht auf.
  • Gerichtsentscheidungen dürfen keinesfalls an einem Freitag, dem 13. ergehen.
  • Ebensowenig Gesetzesbeschlüsse.
  • Wartenummern in Behörden überspringen selbstverständlich die „13“ und alle Zahlen, die auf diese Ziffern enden.
  • Ebenfalls wird es keine Schalter mehr mit der Nummer 13 geben.
  • Auch die Zimmernummern in öffentlichen Einrichtungen sollten entsprechend angepasst werden.

Das alles ist natürlich noch sehr „13“-fixiert und klammert zahlreiche sonstige ungute Gefühle, die Menschen haben können, aus. Politiker brechen sich nichts ab, wenn sie auch auf Folgendes Rücksicht nehmen:

  • Fühlen Tatverdächtige sich bei Ermittlungmaßnahmen gegen sie unwohl, sollte die Polizei rücksichtsvoll von weiteren Maßnahmen absehen.
  • Der Anblick der AfD im Bundestag verletzt die Gefühle vieler Menschen. Meine zum Beispiel. Raus mit denen!
  • Der Anblick der Grünen verletzt zugegebenermaßen auch die Gefühle von Leuten. Also: Raus!
  • Gleiches gilt für CDU, FDP und die LINKE. Irgendwer hat garantiert ungute Gefühle bei deren Anblick.
  • Das Trauerspiel, dass die SPD derzeit ist, ist für sensible Gemüter schwer zu ertragen. Auflösen!
  • Gerichte bescheren vielen Menschen, die sie besuchen, ungute Gefühle. Eine Abschaffung sollte zumindest in Erwägung gezogen werden.
  • Gleiches gilt eigentlich für so ziemlich jedes Gesetz.
  • Dann brauchen wir auch keine Minister mehr und schicken sie in Pension.
  • Dafür hat Hubertus Heil sicher vollstes Verständnis.
  • Ha! Vielleicht war das sein Plan.

 

 

Winter is coming

… und auch wenn er keine Jahre dauert wie in „Game of Thrones“, problematisch ist er hierzulande in Zeiten der Energiewende schon. Und weil ich eine Zeit lang „beruflich“ mit dem Thema zu tun und mich außerdem für ein Journalismus-Seminar beworben hatte, bei dem man einen Probetext einreichen sollte, der demonstriert, dass man in der Lage ist, ein beliebiges Thema allgemeinverständlich zu erklären, habe ich über Kraftwerksreserven geschrieben, was anscheinend auch ganz gut ankam, jedenfalls durfte ich teilnehmen, wie ihr vielleicht noch wisst, eventuell auch weil ich es geschafft habe, meinen Schachtelsatzzwang halbwegs zu unterdrücken, der sich dann hier wieder Bahn bricht, deswegen dachte ich mir, so ein Text ist doch zu schade für die Schublade, daher  gibt es ihn hier.

Deutschlands Energieversorger unter Druck

Deutsche Kraftwerksbetreiber müssen sich warm anziehen. Die Energiewende zeigt erste Effekte – doch paradoxerweise führt dies dazu, dass unrentable Kraftwerke, die mit Kohle, Öl oder Gas betrieben werden, gegen den Willen ihrer Eigentümer am Netz bleiben müssen. Das Kraftwerk des baden-württembergischen Energieversorgers EnBW in Marbach beispielsweise lief nur noch rund 100 Stunden im letzten Jahr. Dennoch muss die EnBW es weiterhin betriebsbereit halten, damit es jederzeit ins Stromnetz einspeisen kann. So hat es der Gesetzgeber im Dritten Gesetz zur Änderung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften geregelt, das im Oktober 2013 in Kraft trat.

Durch den Einspeisevorrang, den das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für Strom aus Sonne, Wind und Co. garantiert, sollen langfristig konventionelle Erzeugungsarten wie Kohle, Öl oder Gas verdrängt werden. Der Plan geht auf – insgesamt 42 Kraftwerke wollen die Energieunternehmen laut der Bundesnetzagentur stilllegen. Aber einige dieser Kraftwerke werden noch gebraucht. Zwar steht grundsätzlich eine ausreichende Strommenge zur Verfügung, so viel, dass sogar deutsche Stromüberschüsse ins Ausland exportiert werden. Zwischen Erzeugung und Verbrauch liegen aber bisweilen mehrere hundert Kilometer. Das Stromnetz ist für die Mengen nicht ausgelegt, die transportiert werden müssen. Im Winter verbrauchen besonders im Süden der Republik Privathaushalte und Industrie den meisten Strom. Allerdings liefern gerade dort die Erneuerbaren Energien nicht genügend, um die Nachfrage zu befriedigen. Der Strom muss im Norden produziert werden, vor allem in den großen Offshore-Windparks in der Nordsee. Weht der Wind überm Wattenmeer nun besonders heftig, entstehen starke Stromflüsse nach Süden, die das Netz überlasten. Fließt zu viel Strom, überhitzen sich die Leitungen und können sich schlimmstenfalls abschalten. Sind auch die umliegenden Netzteile nicht stabil genug, kann eine Blackout-Kaskade entstehen und es kommt zu großflächigen Stromausfällen. Die Betreiber der Stromnetze sind verpflichtet, solche Ausfälle zu verhindern. Dafür speisen sie dort, wo der Bedarf am größten ist, zusätzliche Energie ein, um so gewissermaßen das Gleichgewicht wiederherzustellen. Fallen aber im Süden, am Ort des größten Verbrauchs, große Kraftwerke weg, droht ein Engpass – nicht, weil zu wenig Energie verfügbar wäre, sondern weil die vorhandene Energie nicht transportiert werden kann.

Um derartige Szenarien gar nicht erst Wirklichkeit werden zu lassen, sind in das Energiewirtschaftsgesetz neue Vorschriften eingefügt worden. Alle Betreiber von Kraftwerken, die eine Leistung von über 10 MW liefern, müssen dem für sie zuständigen Betreiber des Stromübertragungsnetzes und der Bundesnetzagentur eine geplante Stilllegung mindestens 12 Monate im Voraus anzeigen. Dabei sind 10 MW eine geringe Produktionsleistung – bereits acht bis zehn Windräder erzeugen gemeinsam so viel Strom,  Gaskraftwerke je nach ihrer Größe mehr als das zehn- bis zwanzigfache. Daher sind sehr viele Kraftwerksbetreiber von der neuen Regel  betroffen, sogar Industrieunternehmen, die mit eigenen Kraftwerken ihren Bedarf selbst decken. Zwar sind diese Industriekraftwerke wahrscheinlich nicht systemrelevant. Nach den Erfahrungen des Winters 2011/2012, in dem es beinahe zu Stromausfällen gekommen wäre, wollte der Gesetzgeber aber auf Nummer sicher gehen und hat einen sehr weiten Anwendungsbereich geschaffen. Ist die Stilllegung angezeigt, prüft der Stromnetzbetreiber, ob das Kraftwerk „systemrelevant“ ist, ob es also in einer Überlastungssituation dringend gebraucht werden würde. Häufig ist in der Berichterstattung zu hören oder zu lesen, die Bundesnetzagentur würde die Stilllegungen untersagen. Das ist nicht falsch, aber verkürzt dargestellt. Wenn die Stromnetzbetreiber zu dem Ergebnis kommen, dass es im Fall eines Engpasses ohne das Kraftwerk nicht geht, weisen sie es als systemrelevant aus. Diese Ausweisung überprüft die Bundesnetzagentur. Kommt sie zu demselben Ergebnis, ist sie verpflichtet, die Ausweisung zu genehmigen. Dann darf das Kraftwerk, wie es das Gesetz vorsieht, für maximal 24 Monate nicht stillgelegt werden. In dieser Zeit muss der Eigentümer es bereithalten, um im Notfall binnen weniger Stunden das Kraftwerk hochzufahren und Strom ins Netz einspeisen zu können. Das Verbot der Stilllegung kann allerdings nach 24 Monaten um weitere 24 Monate verlängert werden, da das Gesetz nur bestimmt, dieser Zeitraum dürfe „jeweils“ nicht überschritten werden.

Für die Eigentümer der Kraftwerke bedeutet das einen empfindlichen Eingriff – so jedenfalls ihre öffentliche Darstellung. Besonders unzufrieden sind sie mit der Vergütung, die das Gesetz vorsieht. Sie rechnen damit, nur etwa drei Viertel der tatsächlich anfallenden Kosten ersetzt zu bekommen. Und das auch erst nach Ablauf der 12-Monats-Frist, obwohl das Kraftwerk schon vorher betriebsbereit sein muss und auch zur Stromproduktion herangezogen werden kann, wenn es im Netz wieder heiß hergeht. Die damals noch rot-rot-grüne Opposition setzte sich jedoch mit der Forderung durch, deutlich weniger Kosten zu erstatten. Die Energieunternehmen sollten keinen Anreiz bekommen, ihre unrentablen Kraftwerke einige Jahre auf Staatskosten zu betreiben und dann wieder an den Strommarkt zurückzukehren.

Die EnBW hat bereits gegen die Stilllegungsverbote Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt. Sie ist als eines der ersten Energieunternehmen von den Verboten betroffen und muss insgesamt fünf Kraftwerksblöcke in Marbach und Walheim weiter betreiben. Neben den finanziellen Bedenken betont der Konzern, er fühle sich ungerecht behandelt. Kraftwerke im Norden Deutschlands, die schon aufgrund ihrer geographischen Lage nicht systemrelevant sind, können von ihren Betreibern „eingemottet“ werden, um auf bessere Zeiten zu warten. Ob diese kommen werden, ist allerdings fraglich. Derzeit führt der rasante Ausbau der Erneuerbaren Energien zu dem paradoxen Effekt, dass gerade ältere und umweltschädlichere Kraftwerke am Netz bleiben müssen. Und das, obwohl gerade sie durch die Energiewende überflüssig gemacht werden sollen. Zudem können die Kosten für die Kraftwerksbetreiber auf die Netznutzungsentgelte umgelegt werden, die letztendlich auf den Strompreis aufschlagen. Die Stromkunden zahlen also am Ende für Kraftwerke mit, die durch die ohnehin hohe EEG-Umlage eigentlich überflüssig werden sollten.

Hürden, Splitter, Stimmen

Als heute Mittag im Radio entgeisterte Europa-Parlamentarier ihre Statements zum Wegfall der 3-Prozent-Hürde für die Europawahl in die Mikrofone, nunja, würgten, da dachte ich mir: Mensch, schreib doch mal wieder allgemeines Demokratie-Bla. Anscheinend kann es davon immer noch nicht genug geben, und die Reaktionen zum Wegfall der 3-%-Klausel sind ein schönes Beispiel dafür.

Kurz zur Auffrischung: im Mai wird europagewählt, und zwar nach den Wahlgesetzen des jeweiligen Mitgliedsstaates. In Deutschland galt, ebenso wie für die Bundestagswahl, die 5-%-Klausel, nach der Parteien erst Sitze im europäischen Parlament beanspruchen können, wenn sie mindestens 5 % der (nationalen) Wählerstimmen für sich verbuchen können. Fand Karlsruhe nicht gut. Der Gesetzgeber trotzte und senkte die Hürde von 5 auf 3 % ab. Findet Karlsruhe, wie wir jetzt wissen, auch nicht gut. Das liegt im Wesentlichen an folgender Erwägung: jede Ein-, Drei- oder Zehnprozenthürde bedeutet einen Verlust an Wählerstimmen, denn wer eine Partei wählt, die diese Hürde nicht schafft, dessen Stimme war für den Papierkorb. Je knapper die Hürde verfehlt wird, desto mehr Stimmen gehen verloren. FDP- und AfD-Wähler konnten bei der letzten Bundestagswahl ein Lied davon singen, und man kann sich durchaus fragen, ob eine derartige Beschränkung, die zuletzt insgesamt fast 15 % der Wählerstimmen wertlos machte, wirklich so eine tolle demokratische Sache ist. Zudem erhalten dann die Stimmen der Übrigen ein höheres Gewicht, weil es weniger Gesamtstimmen gibt, auf die sie angerechnet werden. Das bedeutet also einen spürbaren Eingriff in die Gleichheit der Wahl, die Idee, dass jede Stimme gleichen Einfluss auf das Ergebnis hat. Das Bundesverfassungsgericht meint nun, diesem Eingriff müsse eine gute Rechtfertigung gegenüberstehen. Für das deutsche Parlament lässt es das Argument der Funktionsfähigkeit gelten, die leide, wenn einundrölfzig am besten noch miteinander verfeindete Splittergruppen im Bundestag sitzen und keine stabilen Bündnisse mehr zustande kommen. Das wiederum speist sich natürlich aus den Erfahrungen der Weimarer Republik, und wir alle wissen, wo das endete.

(Klammer auf: Das ist beileibe kein juristisches Argument, aber ich fände es sehr wünschenswert, könnten wir dieses Weimar-Trauma allmählich hinter uns lassen. Die Weimarer Republik ist vor fast 80 Jahren den Bach hinunter gegangen, und seitdem gab es genügend Gelegenheit, Erfahrungen mit parlamentarischer Demokratie zu sammeln. Ich halte es daher zumindest für einen Versuch wert, es auch mal mit Splitterparteien im Parlament zu versuchen (ab einer minimalen Untergrenze, versteht sich. Halbe Abgeordnete sind natürlich Quatsch.), und hätte mir beispielsweise bei den Piraten oder, horribile dictu, der AfD sogar vorstellen können, dass sie ein bisschen frischen Wind in die ganze Veranstaltung bringen, obwohl ich beide nicht sonderlich mag. Und dass die NPD nicht im Bundestag sitzt, ist zwar nett, aber sie existiert trotzdem und profitiert enorm davon, sich als unterdrückte Märtyrerin für die Meinungsfreiheit darstellen zu können. Wobei das ja eh gerade in Mode ist.

Und noch was anderes: die Sperrklausel wird immer als Bollwerk gegen Nazis, Populisten und sonstige Spinner dargestellt, die „wir“ gern draußen lassen würden, damit die Erwachsenen ihre Arbeit tun können. Die Sperrklausel traf aber bei der letzten Europawahl insgesamt sieben Parteien: Freie Wähler, Republikaner, Tierschutzpartei, Familien-Partei, Piraten, Rentner-Partei und die ÖDP (Ökologisch-Demokratische Partei) [Quelle]. Ob das die hellsten Kerzen auf dem Leuchter der Demokratie sind, weiß ich nicht, aber bei oberflächlicher Betrachtung wirken sie alle nicht besonders furchteinflößend, und nur die Republikaner wirklich grundunsympathisch. Klammer zu.)

Für das europäische Parlament sieht das Verfassungsgericht das anders, und die Argumentation ist ein bisschen böse: weil die Straßburger kein „richtiges“ Parlament mit „richtigen“ Befugnissen sind, wiegt es auch nicht den Grundrechtseingriff auf, bei der Europawahl ebenfalls das Papierkorb-Prinzip anzuwenden. Darüber kann man sicher geteilter Meinung sein, wie die FAZ hier ganz gut darstellt (obwohl sie im Kommentarbereich wieder das übliche „Früher war alles besser, und komische Minderheiten, die Rechte haben wollten, gab es da auch nicht“-Lied anstimmt). Mehrheiten müssen auch im Europa-Parlament organisiert werden, und das klappt natürlich besser, wenn alle Sozialdemokraten sind ein gewisser Grundkonsens herrscht. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob es eine gute Idee ist, deutlich wahrnehmbare, aber unliebsame Meinungsströmungen aus der politischen Willensbildung herauszuhalten. (Abgesehen davon, dass es, wie oben schon erwähnt, eben nicht nur die übereinstimmend als „unliebsam“ Wahrgenommenen trifft, sondern auch schlicht kleinere Interessengruppen. Brace yourselves, the Rentner-Partei is coming! Wobei, wenn ich es so bedenke, SPD und CDU sind eigentlich auch Rentner-Parteien oder auf direktem Weg dahin… ich schweife ab, pardon.) Nehmen wir die „Euro-Skeptiker“: mit denen möchte ich auch nicht in einem Parlament sitzen. Trotzdem sind sie da, und vielleicht könnte man mit manchen von ihnen sogar einen ganz fruchtbaren Dialog führen, oder sie würden einen neuen Blick auf dieses fiese Europa bekommen, wenn sie mal selbst daran beteiligt sind, oderoderoder. Außerdem könnte man ihnen dann den „Wir werden kleingehalten, und zwar nur, weil ihr wisst, dass wir Recht haben!“-Wind aus den Segeln nehmen. Im Idealfall, versteht sich. Vielleicht bin ich auch einfach zu parlamentsromantisch. Aber ich finde die Idee schön, dass sich möglichst viele, auch Bekloppte, an der politischen Willensbildung beteiligen können.

Freiheit, die sie meinen

Sachsen hat ein neues Hochschulfreiheitsgesetz, dessen Inhalt einigen Leuten den Blutdruck hochtreibt: Studenten können gemäß § 24 Abs. 1 S. 2 SächsHSFG nach dem ersten Semester aus der verfassten Studentenschaft austreten. Die hiesige Studentenvertretung, kurz StuRa, hält das für einen Angriff auf die Demokratie, ich halte es für einen Schritt in die richtige Richtung.

Als Student ist man zwangsweise Mitglied in der Studierendenschaft und zahlt entsprechend auch Beiträge. Für die studentische Selbstverwaltung sind das gerade mal 8 € pro Nase und Semester, also kein Betrag, von dem jemand arm wird, aber es geht ja ums Prinzip: wer keine Lust hat, die Arbeit der Studentenvertretung, also Fachschaftsräte und den StuRa, zu finanzieren, der soll das meiner Meinung nach auch nicht machen müssen. Der StuRa sieht darin die Aushöhlung der studentischen Solidargemeinschaft und seiner Legitimation als Interessenvertretung der Studenten sowie seiner Funktion, „das STAATSBÜRGERLICHE VERANTWORTUNGSBEWUSSTSEIN“ (Großbuchstaben im Original) zu fördern und fragt sich:

„Wie soll das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein gefördert werden, wenn sich Studierende diesem Versuch durch Austritt entziehen können.“

Vielleicht haben sie auf die „Staatsbürgerlichkeit“ des StuRa einfach keine Lust? Oder auf deren Interpretation von „Verantwortungsbewusstsein“? Wenn die „gelebte Praxis“ dort einen Effekt auf mich hatte, dann den, dass ich ein heftiges Misstrauen gegenüber Leuten entwickelt habe, die der Meinung sind, dass Studenten als solche grundsätzlich „links“ seien, entgegen ihres Auftrages im Gesetz sich ein allgemeinpolitisches Mandat anmaßen und sich meiner Wahrnehmung nach hauptsächlich mit gendergerechter Sprache, diversen Anti-Ismen und immer wieder sich selbst befassen. Wenn jemand das nicht fördern möchte, oder einfach seine Interessen dort nicht repräsentiert sieht, dann kann er doch gerne eine Art „Abstimmung mit der Einzugsermächtigung“ vorzunehmen. Ich war ja selbst mal in einem F(dSS)SR, und in meiner Amtszeit wurden studentische Anliegen teilweise offen ignoriert, ich sehe also nicht, warum man Studenten zwingen sollte, eine Vertretung zu finanzieren, die nicht das vertritt, was sie wollen, sondern das, was einige ideologische Verblendete Leute dafür halten. Das Rätesystem trägt auch nicht dazu bei, dass der StuRa besser an die Studentenschaft angebunden ist: erstens werden dessen Mitglieder von den Fachschaften entstandt, und zweitens sind es, auch theoretisch sich jeder bewerben kann, häufig immer wieder diesselben. Nota bene: es gibt auch tolle Fachschaften, kompetente Vertreter und sicher irgendwo auch gute StuRä. Aber die verquere Argumentation, die darauf hinausläuft, dass eine freiwillige Entscheidung der Studenten dagegen, sich vertreten zu lassen, nicht anginge, weil

„der StuRa nicht mehr als Ansprechpartner wahrgenommen wird bzw. auch gar nicht als solcher auftreten kann, weil es ja Studierende gibt, die sich bewusst dagegen entschieden haben vom StuRa vertreten zu werden.“

, die führt dazu, dass ich wirklich gerne darauf verzichten würde, denen irgendwas von meinem hart ertelefonierten Geld zur Verfügung zu stellen. Egal, ob sie sich mit Betriebsräten vergleichen (hinkt, die finanziert der Arbeitgeber), der BRD (hinkt auch, das ist eine Gebietskörperschaft – und das Argument, man müsste doch dann da auch austreten können, ist gar nicht so absurd, wie sie denken) oder sich als „Impulsgeber für die Gestaltung kritischer und neuer Lebensweisen“ sehen (Muss ich was dazu sagen?), die Verachtung für Entscheidungen gegen ihre Art der „Interessenvertretung“ ist schon bemerkenswert. Wer so dermaßen darauf pocht, sich weiterhin zwangsweise legitimieren zu lassen, und das für Demokratie hält – von dem möchte ich bitte kein staatsbürgerliches Verwantwortungsbewusstsein beigebracht bekommen.

Grundrechte und andere Piktogramme

Seit meiner Schulzeit kritzele ich ständig irgendwo herum, wenn ich eigentlich zuhören sollte, was schon zahlreiche Lehrer irritiert hat. Im Jurastudium konnte ich das perfektionieren: immerhin wird ständig betont, wie wichtig eine saubere Sachverhaltsskizze ist. Und auch viele andere Sachen gehen zumindest mir besser in den Kopf, wenn ich eine bildliche Darstellung davon habe – ohnehin sollten viel mehr Lehrbücher illustriert sein. Ein paar Vorschläge zu Grundrechten hätte ich schon.

Ratet mal, was das sein könnte:

Die Berufsfreiheit natürlich, aus Art. 12 GG.

Obwohl Artikel 12 verschiedene Aspekte aufgreift, hat man beschlossen, dass sowohl Berufswahl als auch -ausübung unter Gesetzesvorbehalt stehen (eher entgegen dem Wortlaut, wohlgemerkt, eigentlich steht nur die Berufsausübung unter Gesetzesvorbehalt; in der Tat spricht aber viel für ein einheitliches Grundrecht [Examenskandidatenmodus aus. Aus, sag ich!]) . Das Bundesverfassungsgericht hat dann die 3-Stufen-Theorie entwickelt, nach der Eingriffe in die Berufsfreiheit entweder die Berufsausübung betreffen (oberer linker Balken), oder die subjektive Berufswahl (mittlerer linker Balken; jede Zulasssungsvoraussetzungen, die an Sachen anknüpft, die die Bewerber selbst in der Hand haben, also bestimmte Qualifikationen o.ä.), oder die objektive Berufswahl (unterer linker Balken; zB. Numerus Clausus). Weil sie ein einheitliches Grundrecht bilden, sind sie miteinander „vernietet“. Von oben nach unten werden die Anforderungen an die Rechtfertigung des Eingriffs immer größer (rechte Balken) – um in die Berufsausübungsfreiheit einzugreifen, braucht es nur „vernünftige Gründe des Allgemeinwohls“, also irgendeinen Quatsch, für subjektive Berufswahlregelungen immerhin den Schutz besonders wichtiger und für objektive den überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter. (Ich erspar euch jetzt das Apothekenurteil. Oder Ausfälligkeiten über die Ladenschlussgesetze.) Da das Bundesverfassungsgericht neuerdings selbst wieder von der (meiner Ansicht nach sehr unpraktischen) 3-Stufen-Theorie abrückt, aber noch nicht klar ist, ob das eine Trendwende wird, geht er eingeklammerte Pfeil durch, der die Stufen „zerschneidet“.

Ein paar andere Grundrechte könnten so aussehen:

Das sind welche aus den ersten drei Artikeln: 1. die Menschenwürde. Okay, eigentlich kein Grundrecht. Aber es weiß eh keiner genau, was sie ist, und ein Großteil der Literatur ergeht sich in wolkigen Andeutungen. Ein Symbol, dass neben der Allwissenheit Gottes auch mit Freimaurern und Illuminaten in Verbindung gebracht wird, fand ich ganz passend – da weiß man auch nicht immer, wofür es eigentlich steht, und warum. 2. Die Allgemeine Handlungsfreiheit, aus Art. 2 Abs. 1. Amöbengleich passt sich das „Auffanggrundrecht“ jeder Form an, ohne selbst eine eindeutige zu haben, und bisweilen nimmt es andere Grundrechte bzw. deren Schranken in sich auf. Das liegt daran, dass Sachen wie die „Berufsfreiheit“ sog. „Deutschengrundrechte“ sind, die dank des Diskriminierungsverbots auch für EU-Bürger gelten, aber nicht für EU-Ausländer. Deren Tätigkeiten fallen dann zwar nicht in den Schutzstandard des entsprechenden „Deutschengrundrechtes“, aber die niedrigen Schranken der Allgemeinen Handlungsfreiheit werden in solchen Fällen angehoben (ich halte das für ein Unding, aber mich fragt ja keiner). 3. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3, oder genauer: dessen Verstöße. Weder soll man nämlich Ungleiches gleich, noch Gleiches ungleich behandeln (sieht man leider schlecht, im letzten Bild ist der Regler unter den Töpfen auf unterschiedliche Temperaturen eingestellt).

Das Eigentum aus Art. 14 hingegen ist eher…

… ein bisschen wie Frankenstein. Da im Gegensatz zu den anderen sein Inhalt vom Gesetzgeber festgelegt wird, sieht es zwar von Ferne aus wie ein anständiges Grundrecht, wenn man ihm näher kommt, erkennt man jedoch, dass das vor allem Flickwerk ist, höchst undurchschaubar und hinsichtlich eventueller Entschädigungen mit hässlichen Folgen. (Nicht selten gibt´s keine.)

Der Blick ins Gesetz

… erleichtert nicht nur Juristen die Rechtsfindung, auch Journalisten sollten ihn gelegentlich wagen.

Vielleicht hat Herr Nonnenmacher das in Vorbereitung dieses Kommentars sogar gemacht, dann wäre ich aber auf seine Ausgabe des Grundgesetzes gespannt: es müsste eine sein, deren Präambel die Formulierung „Vereintes Europa“ enthält, „Vereint“ mit großem „V“, wie in „Vereinigte Staaten von Europa“. Dass sich die Väter und die Mutter des Grundgesetzes ein möglichst eng verbundenes, stabiles und friedliches Europa wünschten, ist ein Gemeinplatz. Für Herrn Nonnemacher ist es dagegen ein Argument:

Die heute bis zum Fanatismus gesteigerten Bedenken gegen weitere Integrationsschritte widersprechen diametral dem historisch-politischen Entwurf, der den Vätern und Müttern des Grundgesetzes einst vor Augen stand.

Ob er mit den „bis zum Fanatismus gesteigerten Bedenken“ auch die Richter in Karlsruhe meint? Sicher kursiert zu dem Thema viel Unsinn, und der einzige Vorteil an meinem derzeitigen Schreibtischdasein ist, dass immer eine Tischkante in der Nähe ist, in die ich beißen kann, wenn ich mal wieder lese, Deutschland werde „verraten und verkauft“, man müsse die Grenzen dicht machen und die D-Mark wieder einführen und „den kriminellen Eliten“ zeigen, wo der Hammer hängt. Allerdings ist hinsichtlich all dieser Fragen irrelevant, was die Verfasser des Grundgesetzes gern gehabt hätten – abgesehen davon, dass der „Europa-Artikel“ (Artikel 23), der die Integrationsoffenheit Richtung EU hauptsächlich begründet, von 1992 stammt, nicht von 1949. Ganz generell halte ich den „gesetzgeberischen Willen“ für eine weitestegehend nutzlose Auslegungs- und Argumentationsmethode. Wenn „der Gesetzgeber“ irgendetwas gern möchte, dann hat er jede Möglichkeit, das direkt ins Gesetz zu schreiben (was besonders in jüngerer Zeit zu poetischen „Zweck des Gesetzes“-Paragraphen führt, die kaum bis keine praktische Funktion haben, also kann man es gleich lassen und die Energie besser darin investieren, eine sinnvolle Regelungstechnik zu entwerfen), ansonsten entscheiden in erster Linie immer noch Wortlaut und Systematik. Das kann dem, was der Gesetzgeber eigentlich intendierte, schon mal zuwiderlaufen, wenn er es nicht sorgfältig genug formuliert hat. Das ist dann Pech. Nicht nutzlos, sondern direkt gefährlich ist es, öffentliche Debatten mit etwas abzuwürgen, was vor 60 Jahren einmal Leute wollten, und seien sie noch so verdienstvoll gewesen. Aber es geht noch weiter:

Wer kann glauben, dass diese Debatte sich dadurch befrieden ließe, dass in das Grundgesetz nur ein zusätzlicher Europa-Artikel eingefügt und zur Abstimmung gestellt würde? Wo wäre die Grenze zu ziehen […]? Diese Büchse der Pandora sollte besser geschlossen bleiben.

Das ist wahrhaft konservatives Denken: wir können die Veränderungen nicht absehen, also nehmen wir sie gar nicht erst in Angriff. Möglicherweise wäre eine Volksabstimmung zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich kontraproduktiv, die Debatte darüber zur Büchse der Pandora zu erklären, ist allerdings genau der falsche Weg, um dem fatalen Eindruck entgegenzuwirken, alles, was mit Europa zu tun habe, werde im Eil- und Geheimverfahren von „den Mächtigen“ „durchgepeitscht“. Selbst wenn bei dieser Gelegenheit alle anfingen, Grundrechte für Erdbeeren, Freibier für alle und ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern, sollte das ein halbwegs stabiles Gemeinwesen verkraften. Sich friedlich über eine neue, vielleicht bessere Verfassung verständigen zu wollen, ist eigentlich nie falsch, egal, ob es gerade konkret ansteht oder nicht. Aber wer keine Lust hat, dafür ins Grundgesetz zu gucken, dem muss das in der Tat völlig unabsehbar vorkommen.