FAZ

Springen vom Beckenrand verboten

swimming zombie

…sonst gehen womöglich Teile verloren.

Den Zombie im Schwimmbad verdanken wir der FAZ, die damit diesen Artikel (für FAZ-Plus-Leser) anteaserte, in dem sehr zu meiner Enttäuschung das Wort „Zombie“ gar nicht mehr vorkam. Und man mag von Gunther von Hagens´ Ausstellung halten, was man will, „Zombies“ oder auch „Untote“ sind es definitiv nicht. Die könnten sich vor lauter Plastinierung vermutlich gar nicht bewegen.

fazzombiesimtiefenbecken

Wenn Menschen Artikel in Zeitungen veröffentlichen, heißt das noch lange nicht, dass sie Ahnung von Jura haben, Folge 4378.

Der Editionsphilologe Roland Reuß hat in der FAZ das jüngste Urteil des BGH besprochen, in dem es um die Frage geht, ob Universitätsbibliotheken Lehrbücher digitalisieren dürfen und wenn ja, ob sie dafür sorgen müssen, dass diese Dateien wenigstens nicht unerlaubt in Umlauf gebracht werden. Nun habe ich wenig Ahnung von Editionsphilologie, Herr Reuß hat dafür wenig Ahnung von Rechtsprechung, und so ergänzen wir uns ganz gut. Sein Artikel ist nämlich ein prima Beispiel dafür, dass sich an Juristenschelte nur wagen sollte, wer wenigstens ein rudimentäres Grundverständnis der Materie hat.

Hintergrund ist ein Streit der TU Darmstadt mit einem Lehrbuchverlag. Die TU hat mehrere Lehrbücher digitalisiert und an elektronischen Leseplätzen zur Verfügung gestellt. An diesen Leseplätzen konnte das digitalisierte Lehrbuch auch ausgedruckt bzw. per USB-Stick mit nach Hause genommen werden, sehr zum Ärger des Verlags, der Einbußen befürchtete. Der BGH hat mit Urteil vom 16.04.2015 entschieden, dass das alles so in Ordnung ist und weder gegen Urheber- noch gegen Verwertungsrechte verstößt. Das ist eine „Schande“ und „Kriegserklärung“.

Herr Reuß wünscht sich

einen Karl Kraus, um die Ausformulierung der sophistischen Tendenz, die das Urteil grundiert, mit einer sprachlichen Razzia zu überziehen.

Ich bin zwar bei weitem nicht Karl Kraus, helfe aber gern. Was stört denn besonders am Urteil?

In ihm werden die besonders wackligen Paragraphen 52a und 52b des Urheberrechts zur Behebung einer „planwidrigen Regelungslücke“ (!) so zusammengeschmiedet, dass für die Rechte von Urhebern in der Praxis kein Platz mehr bleibt.

Räumen wir erst mal die groben Brocken beiseite, zu den Urheberrechten sage ich im nächsten Beitrag was . Zunächst zur „planwidrigen Regelungslücke“: das ist ein feststehender Fachbegriff, der ein bisschen lustig und erklärungsbedürftig ist, aber im Grunde genommen nichts Aufregendes. Karl Kraus, der unter anderem Rechtswissenschaft studierte, könnte diese juristische Methode gekannt haben. Es kommt immer wieder vor, dass der Gesetzgeber beim Gesetzgeben nicht an alles gedacht hat, und dann steht man als Gesetzesanwender da und hat eine Vorschrift, die nur so halb passt. In diesen Fällen ist es möglich, die nur so halb passende Vorschrift analog anzuwenden. Aufgrund des Rechtsstaatsprinzips, das es verbietet, Regeln willkürlich zu erfinden, anzuwenden oder nicht anzuwenden, bedarf es da einiger Voraussetzungen, nämlich zum einen der besagten planwidrigen Regelungslücke: die Vorschrift passt nur so halb, es spricht aber alles dafür, dass sie eigentlich ganz passen soll. Hat man diese Regelungslücke festgestellt, bedarf es noch der „vergleichbaren Interessenlage“: die Situation ist zwar vom Gesetz nicht erfasst, aber den erfassten Fällen sehr ähnlich. Und was ist noch ein Problem?

Nun unterzieht sie das Urteil des BGH zum Zwecke der „richtlinienkonformen Rechtsfortbildung“ (!) einer äußerst phantasievollen urheberfeindlichen Hermeneutik.

Auch die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ist ein terminus technicus, Herr Reuß. Den kannte Karl Kraus vermutlich noch nicht. Richtlinienkonforme Rechtsauslegung bzw. -fortbildung meint nichts anderes als die Anwendung des nationalen Rechts mit Blick auf Europarecht, das Vorrang hat. Das war in diesem Verfahren besonders wichtig, weil der BGH extra beim EuGH angefragt hat, wie eine bestimmte EU-Richtlinie zu verstehen sei, und der EuGH daraufhin ein paar Auslegungsvorgaben rüberreichte. Es wäre europarechtswidrig gewesen, die zu ignorieren.

Auf Druck des Bibliotheksverbands waren diese Paragraphen zunächst – schon das eine seltsame Konstruktion – auf Zeit ins Gesetz aufgenommen worden; angeblich, um zu testen. Von der großen Koalition sind sie dann erst vor kurzem mehr oder weniger stillschweigend, jedenfalls ohne große Rücksicht auf die Produzenten von Texten entfristet worden.

Was ist eine seltsame Konstruktion? Lobbyismus wohl kaum. Befristete Geltung? Auch das kommt häufiger vor, als man meint. Häufig hat eine Befristung rechtstechnische Gründe, etwa wenn Vorschriften kontinuierlich weiterentwickelt werden oder anderweitig bereits absehbar ist, dass es sich nur um eine Übergangsregelung handeln wird.

Gerichten angesichts eines so heillosen Gesetzesschlamassels dergleichen zu überlassen wird nötig, weil der Gesetzgeber neuerdings (Stichwort: Dublin-Abkommen) öfters keine Lust zu haben scheint, die Folgen seiner Gesetzgebung auch noch abschätzen zu müssen.

Aus Rechtsanwendersicht finde ich es irgendwie niedlich, dass gerade diese Paragraphen schon ein „heilloser Gesetzesschlamassel“ sein sollen. Es gibt beileibe schlimmere Schlamassel, aber dazu bei anderer Gelegenheit mehr. In den nächsten Tagen folgt erst mal der urheberrechtliche Teil zu diesem… ähm… Elaborat.

Burka essen Kunst auf

Burkaverbote – allmählich wird es ein eigenes Genre in den Kommentarspalten der großen Tageszeitungen, sich möglichst kreative Gründe dafür auszudenken. Besonders kreativ ist, wie es ihr als konservatives Leitmedium gebührt, die FAZ. Das allein wäre keiner gesonderten Erwähnung wert (konservative Zeitung ist konservativ, duh), aber der jüngste Beitrag bringt einen neuen Aspekt in die Debatte:

Wer mit einer Burka bekleidet durch eine Gemäldegalerie promeniert, erniedrigt die Kunst, unseren größten Schatz.

In diesen Gemäldegalerien hängen vorwiegend „Darstellungen nackter Körper“, und es ist nicht etwa voyeristisch, zu lange auf Cranachs „Venus“ zu gaffen, nein:

Die Burkaträgerin macht aus dem Museumsbesuch eine Peepshow, aus einer Begegnung mit Kunst wird feiger Voyeurismus.

Vielleicht will sie einfach nur diese abendländische Kultur kennenlernen, von der so viel die Rede ist.

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Nun bin ich ja selbst nicht nur eine gelegentliche Besucherin von Kunstausstellungen, sondern produziere auch Kunst, und deswegen hat es mich gleich doppelt interessiert, warum:

Die Malerei erforscht den Sinn unserer physischen, sterblichen, fragwürdigen Existenz, sie tut es ungeschützt, und das gebietet als Minimum der Respekterweisung, dass der Betrachter sich und seine mögliche Erschütterung nicht versteckt.

Malerei hat meiner bescheidenen Meinung nach genau einen Sinn: den, den der oder die Malende darin sieht. Ob das Gewinnstreben, Selbsttherapie, politisches Statement, philosophische Suche, oder die schlichte Freude am Hantieren mit Farben ist, entscheidet die Künstlerin. Dementsprechend gibt es auch kein festgelegtes „Minimum an Respekterweisung“, oder jedenfalls nicht in meiner Welt. Ich war dieses Jahr mit ein paar Bildern an der Jahresausstellung „meines“ Ateliers beteiligt, und natürlich habe ich mich gefragt, wie die Besucher wohl meine Bilder finden, aber mir wäre nicht in den Sinn gekommen, zu verlangen, dass sie ihre eventuelle Erschütterung zeigen. Abgesehen davon, dass „Erschütterung“ auch durch ein Pokerface versteckt werden kann, ganz ohne Burka. Und was heißt „ungeschützt“ in diesem Kontext? Dass das Bild keine Burka trägt? Das wäre mal eine schicke Installation.

burka2(Der Beitrag enthält insgesamt viele, nunja, Wortaneinanderreihungen, die als Argument zu bezeichnen eine Beleidung für richtige Argumente wäre, aber ich übe mich in Selbstbeherrschung und sage nichts dazu. Das meiste hat ohnehin Muriel schonmal behandelt.)

Nur wer sich dauerhaft bei uns niederlässt, muss lernen, dass Frauen ihre Würde hierzulande anders wahren können, als indem sie sich einen Sack über den Kopf ziehen.

burka3Eine von beiden ist eine emanzipierte Frau. Die andere zieht an, was ihr Mann für gut befindet. Und jetzt denken wir alle nochmal über Klischees nach.

 

Prostitution und FAZ-Tourette

[Lesen Sie weiter, hier kommt nichts substantiell Neues. Ich reg mich nur wieder über die Medien im Allgemeinen und die FAZ im Speziellen auf.]

Alice Schwarzer hat eine Prostitutionsdiskussion losgetreten, die es sämtlichen Medien endlich mal wieder ermöglicht, das Thema „Sex“ unter dem Deckmantel aktueller Berichterstattung des Längeren und Breiteren durchzuexerzieren. Die Frage, ob Prostitution erlaubt sein sollte, langweilt mich inzwischen ein bisschen, denn für ein Verständnis von Prostitution als „sexuelle Dienstleistung im Tausch gegen Geld auf freiwilliger Basis zwischen konsensfähigen Erwachsenen“ kann die Antwort meiner Ansicht nach nur „ja“ lauten. Nicht, weil mir das Konzept so wahnsinnig sympathisch wäre, sondern weil, genau, Dinge, die Erwachsene freiwillig miteinander machen und deren Wirkungen sich ausschließlich auf sie erstrecken, den Gesetzgeber erst mal nichts angehen. Ein auf den ersten Blick ähnliches Problem ist „Zwangsprostitution“, nur dass man da besser von Ausbeutung von Prostituierten, Zuhälterei, Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, Nötigung im besonders schweren Falle, vermutlich auch Körperverletzung, Bedrohung, und vielleicht auch Raub oder Erpressung reden könnte. Es gibt also einen ganzen dicken Packen an Straftatbeständen, und die für mich interessante Frage ist, was man tun könnte, um den Frauen zu helfen, die gezwungen werden, sich zu prostituieren, und wie man die drankriegen könnte, die sie zwingen. Allerdings spielen Ermittler und ausgebeutete Frauen bei der ganzen Geschichte eine eher untergeordnete Rolle, denn es ist ja viel aufregender, über das „unmoralische“ Gewerbe an sich zu reden und Schreckensszenarien zu beschwören, als sich daran zu machen, möglichst nüchtern und zielorrientiert zu versuchen, oben genannte Straftaten konsequent(er) zu verfolgen, und sich vielleicht zu fragen, warum das derzeit anscheinend nicht funktioniert.

Und damit sind wir bei FAZ, die vielleicht einfach mal einen Hardliner ranlassen wollten, der sich dadurch qualifiziert, dass er eine brutale Serie gesehen hat, die sich mit allerhand Misständen im Wilden Westen befasste:

Es wurde ja nicht nur die Entrechtung von Frauen in Szene gesetzt, sondern auch die von Chinesen, Schwarzen, von Behinderten, von Grubenarbeitern. Niemand in Deadwood ist vor Gewalt sicher, die Ermordeten, denen man kein Begräbnis gönnt, werden den Schweinen zum Fraß vorgeworfen, die Verbrechen bleiben ungesühnt. Auch darüber hätte man sich aufregen können. Tat aber keiner. Vielleicht, weil es vorbei ist. Die Unterdrückten sind frei. Die Menschenrechte sind garantiert. Es gibt diese Greuel nicht mehr.

Bis auf die Prostitution.

Korrigiert mich, wenn ich mich irre, und ich würde mich sehr gern irren: wir leben zwar in einer siginifikant sichereren Gesellschaft, aber Verbrechen an Ausländern, Schwarzarbeitern, Behinderten, Unterdrückung von Minderheiten, Gewalt und viele andere hässliche Dinge gab es zumindest noch, als ich das letzte Mal Nachrichten gehört habe, und das war gestern. Blicken wir an Europas Grenzen, vor allem die im Süden, ertrinken dort Leute, deren Menschenrechten von wirklich allen mit Füßen getreten werden, und blicken wir ein bisschen weiter, sehen wir noch viel furchtbarere Dinge, unter anderem auch ausgebeutete Minenarbeiter. Zu sagen, wir seien die genannten Dinge losgeworden, ist… gewagt.

Auch „Freiwilligkeit“ spielt dabei keine Rolle: Niemand darf seine Organe verkaufen. Der sogenannte „Zwergenweitwurf“ ist nicht zulässig; das Argument, man nähme Kleinwüchsigen damit die Erwerbsquelle, ist falsch. Das Aufgeben der Menschenwürde ist logisch keine Option von Autonomie.

Wenn etwas keine Option von Autonomie ist, dann kann es mit dieser Autonomie nicht weit her sein. Hatten wir hier, in anderer Ausprägung, schonmal. Außerdem ist es Herr Zastrow, der der Meinung ist, eine Frau, die sich freiwillig prostituiert, gebe ihre Menschenwürde auf. Für ihn sind sie also würdelose, aufs Objekt reduzierte Geschöpfe. Haben die ein Glück, dass er sie retten will.

Unter Menschen, die einander respektieren, kann Sexualität keine Handelsware sein. In einer Gesellschaft, die sich selbst respektiert, auch nicht.

Derselbe Sex zwischen denselben Leuten ist also okay, wenn er ohne, aber respektlos, wenn er mit Bezahlung erfolgt. Aha.

Die Argumente, die zugunsten der Prostitution ins Feld geführt werden, sind zynisch: Es war schon immer so, wenn wir es nicht tun, machen’s die Nachbarn, das Ganze ist ein unentbehrliches Ventil, Männer sind halt so, wie sollen Behinderte sonst an Sex kommen.

Wer vertritt denn bitte diese Ansichten?

Eine Gesellschaft, die Prostitution hinnimmt, mutet allen – allen! – Frauen und Mädchen zu, das käufliche Geschlecht zu sein. Sie toleriert gleichgültig das Fortbestehen einer furchteinflößenden Perspektive des Frauenlebens. Allein das schon ist Gewalt.

Auf zu einer neuen Runde von „Bös ist der, der Böses denkt“: der Autor hält Frauen anscheinend für „das käufliche Geschlecht“, oder es zumindest für naheliegend und vertretbar, auf diese Idee zu kommen. Und wenn „die Gesellschaft“ die Prostitution verbietet, werden die Aussichten vor allem für Frauen ja so viel besser, weil gerade denen, die sich tatsächlich aus Geldnot prostituieren, oder gezwungen werden, dann plötzlich Dutzende von Erwerbschancen offenstehen, und die fiesen Zuhälter sind dann auch weg.

Aber ist es wirklich so schwer, sich eine Welt vorzustellen, in der es keine Prostitution gibt? Wir haben doch schon ganz anderes hingekriegt.

Ich stelle mir gerade zukünftige FAZ-Kommentare vor, die was zum Thema beitragen, anstatt die Menschenwürdekeule zu schwingen. Hach, wird das schön.

Der Kapitalismus ist schuld. Und dieses Internet.

Dass es mit den „westlichen“ Zivilisationen bergab geht, ist seit 1918 nichts Neues mehr – damals erschien Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“. Aktuellste Symptome lassen sich nebst eigener, planmäßig angelegter Beobachtung des persönlichen Umfeldes auch der Tageszeitung Ihres Vertrauens entnehmen. Normalerweise sind ja immer die nachrückenden Generationen schuld, wie schon Sokrates wusste, aber qualitativ hochwertiger Journalismus lässt sich natürlich nicht vom Mainstream beeindrucken und dreht deswegen den Spieß um: die nächste Generation hat gar keine Chance, irgendwas zu werden, denn die jetzige weigert sich standhaft, sich ordentlich zu benehmen:
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Der Blick ins Gesetz

… erleichtert nicht nur Juristen die Rechtsfindung, auch Journalisten sollten ihn gelegentlich wagen.

Vielleicht hat Herr Nonnenmacher das in Vorbereitung dieses Kommentars sogar gemacht, dann wäre ich aber auf seine Ausgabe des Grundgesetzes gespannt: es müsste eine sein, deren Präambel die Formulierung „Vereintes Europa“ enthält, „Vereint“ mit großem „V“, wie in „Vereinigte Staaten von Europa“. Dass sich die Väter und die Mutter des Grundgesetzes ein möglichst eng verbundenes, stabiles und friedliches Europa wünschten, ist ein Gemeinplatz. Für Herrn Nonnemacher ist es dagegen ein Argument:

Die heute bis zum Fanatismus gesteigerten Bedenken gegen weitere Integrationsschritte widersprechen diametral dem historisch-politischen Entwurf, der den Vätern und Müttern des Grundgesetzes einst vor Augen stand.

Ob er mit den „bis zum Fanatismus gesteigerten Bedenken“ auch die Richter in Karlsruhe meint? Sicher kursiert zu dem Thema viel Unsinn, und der einzige Vorteil an meinem derzeitigen Schreibtischdasein ist, dass immer eine Tischkante in der Nähe ist, in die ich beißen kann, wenn ich mal wieder lese, Deutschland werde „verraten und verkauft“, man müsse die Grenzen dicht machen und die D-Mark wieder einführen und „den kriminellen Eliten“ zeigen, wo der Hammer hängt. Allerdings ist hinsichtlich all dieser Fragen irrelevant, was die Verfasser des Grundgesetzes gern gehabt hätten – abgesehen davon, dass der „Europa-Artikel“ (Artikel 23), der die Integrationsoffenheit Richtung EU hauptsächlich begründet, von 1992 stammt, nicht von 1949. Ganz generell halte ich den „gesetzgeberischen Willen“ für eine weitestegehend nutzlose Auslegungs- und Argumentationsmethode. Wenn „der Gesetzgeber“ irgendetwas gern möchte, dann hat er jede Möglichkeit, das direkt ins Gesetz zu schreiben (was besonders in jüngerer Zeit zu poetischen „Zweck des Gesetzes“-Paragraphen führt, die kaum bis keine praktische Funktion haben, also kann man es gleich lassen und die Energie besser darin investieren, eine sinnvolle Regelungstechnik zu entwerfen), ansonsten entscheiden in erster Linie immer noch Wortlaut und Systematik. Das kann dem, was der Gesetzgeber eigentlich intendierte, schon mal zuwiderlaufen, wenn er es nicht sorgfältig genug formuliert hat. Das ist dann Pech. Nicht nutzlos, sondern direkt gefährlich ist es, öffentliche Debatten mit etwas abzuwürgen, was vor 60 Jahren einmal Leute wollten, und seien sie noch so verdienstvoll gewesen. Aber es geht noch weiter:

Wer kann glauben, dass diese Debatte sich dadurch befrieden ließe, dass in das Grundgesetz nur ein zusätzlicher Europa-Artikel eingefügt und zur Abstimmung gestellt würde? Wo wäre die Grenze zu ziehen […]? Diese Büchse der Pandora sollte besser geschlossen bleiben.

Das ist wahrhaft konservatives Denken: wir können die Veränderungen nicht absehen, also nehmen wir sie gar nicht erst in Angriff. Möglicherweise wäre eine Volksabstimmung zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich kontraproduktiv, die Debatte darüber zur Büchse der Pandora zu erklären, ist allerdings genau der falsche Weg, um dem fatalen Eindruck entgegenzuwirken, alles, was mit Europa zu tun habe, werde im Eil- und Geheimverfahren von „den Mächtigen“ „durchgepeitscht“. Selbst wenn bei dieser Gelegenheit alle anfingen, Grundrechte für Erdbeeren, Freibier für alle und ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern, sollte das ein halbwegs stabiles Gemeinwesen verkraften. Sich friedlich über eine neue, vielleicht bessere Verfassung verständigen zu wollen, ist eigentlich nie falsch, egal, ob es gerade konkret ansteht oder nicht. Aber wer keine Lust hat, dafür ins Grundgesetz zu gucken, dem muss das in der Tat völlig unabsehbar vorkommen.